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januar 2419 n. sok.

philosophischer essay 1,
verfasst von einer philosophin
im pelz eines getigerten katers

 

epistemische zugänge zum gottesbegriff …

das religiöse gift
und seine nebenwirkungen

 

1. die frage nach dem ‚lieben gott’

2. fünf denk-optionen …

der gott des volkstümlichen glaubens
… der gott der philosophen
… der gott der mystischen erlebnisse
… der gott der offenbarung als entität des wissens
… der gott der offenbarung als entität des vertrauens

3. warnung vor risiken & nebenwirkungen

* … was würde der ‚liebe gott’ dazu sagen?

 

1. die frage nach dem ‚lieben gott’

der mensch versteht sich selbst als homo religiosus. er begreift sich als ein wesen, das zur gotteserkenntnis befähigt ist. er ist mächtig stolz darauf, denn dies unterscheidet ihn angeblich von einem ‚dummen tier’ und diese unterscheidung ist ihm sehr wichtig. die gläubigen erfinden seltsame glaubensinhalte und kuriose rituale. zumindest wundern sich ungläubige und andersgläubige über religiöse inhalte und praktiken, von denen sie selbst nicht überzeugt sind. christen finden es merkwürdig und unverständlich, dass die schamanen der kham magar in nepal davon überzeugt sind, einem widder in die zunge beißen zu müssen. der schamane glaubt, dass dieses ritual heilsbringend ist, wohingegen er aber auch glaubt, dass ein anderes ritual – beispielsweise einem huhn in den fuß zu zwicken – völlig wirkungslos bliebe. der berühmte arabische philosoph averroes bemerkte mit blick auf das christentum, dass von allen religionen diejenige die törichteste und sinnloseste sei, deren anhänger ihren gott verspeisen, nachdem sie ihn zuvor erfunden haben.

gewiss, es muss zugestanden werden: die religiosität ist ein phänomen, das überall auf der welt und zu allen zeiten in der menschheit anzutreffen war, ist und vermutlich sein wird. doch was bedeutet dies? es bedeutet zunächst nur, dass die meisten menschen ein natürliches bedürfnis haben, das offensichtlich durch religionen befriedigt wird. es bedeutet aber nicht, dass die entität der religiösen verehrung mehr ist als ein fantasieprodukt mit den merkmalen eines ‚trostpflästerchens’ für die unerfreulichen ‚geschäftsbedingungen des lebens’. der mensch …

ist bedroht durch krankheit, alter und tod

ist mitunter zerstörerischen naturgewalten ausgesetzt

beklagt die ungerechtigkeit des schicksals

konstatiert die engen grenzen seines wissens

fürchtet sich vor einer stets ungewissen zukunft

hat eine tiefe sehnsucht nach sinn und bedeutung seines eigenen lebens

bedauert die flüchtige pracht des lebens, der liebe und des glücks

erschrickt vor seinem eigenen destruktionspotenzial.

die natur brachte offensichtlich ein wesen hervor, das über ein reflexionsbewusstsein verfügt, aber dieses wesen kann gerade deshalb die wirklichkeit nicht ertragen. so jedenfalls sieht dies der philosoph blumenberg und spricht hier von der trostbedürftigkeit und trostfähigkeit des menschen.

wir haben also allen grund, über die unerfreulichen ‚geschäftsbedingungen des lebens’ unzufrieden und unglücklich zu sein und uns nach ‚ego-politur’ und ‚trostpflästerchen’ mit einem hohen wohlfühl-potenzial umzusehen – da kommt uns doch der ‚liebe gott’ gerade recht. ist also gott ein bloßes fantasieprodukt und die religion vergleichbar mit komasaufen? der ungläubige sagt „ja“, doch der gläubige sagt „nein“. nehmen wir den gläubigen probeweise einmal ernst und fragen uns: ist gotteserkenntnis tatsächlich möglich?

2. fünf denk-optionen …

eine philosophische untersuchung könnte in systematischer perspektive die frage stellen: welche epistemischen zugänge zum gottesbegriff sind denkmöglich? epistemologie ist die lehre von dem, was wir tatsächlich wissen oder glauben bzw. was wir wissen oder glauben können. wenn wir von wissens- oder glaubensinhalten p einer person x sprechen, dann müssen wir vier bedingungen in den blick nehmen: () die sprachbedingung: p ist sprachlich formuliert im sinne einer wahrheitsfähigen aussage. () die wahrheitsbedingung: p ist tatsächlich wahr nach maßgabe einer wahrheitstheorie. () die überzeugungsbedingung: die person x ist von der wahrheit von p überzeugt. () die begründungsbedingung: die person x kann auf nachfragen gute gründe für ihre überzeugung von p vortragen. jede einzelne bedingung führt zu zahlreichen problemen, von denen wir hier nur einige wenige untersuchen können. wir wollen annehmen, dass die überzeugungsbedingung stets erfüllt ist, d.h. gelegenheitsgläubige, lügner und heuchler interessieren uns hier nicht. unter dieser voraussetzung ist dann die begründungsbedingung für die gotteserkenntnis in abhängigkeit vom jeweiligen epistemischen zugang zu spezifizieren. im folgenden sollen fünf epistemische zugänge aus einer philosophischen perspektive näher erläutert, ihre begründung analysiert und ihre implikationen kritisch beurteilt werden.

der gott des volkstümlichen glaubens

diese gottesvorstellungen berufen sich auf die alltagsintuition des jeweiligen menschen, der glaubt oder hofft, dass es eine ‚höhere macht’ gibt. alltagsintuitionen sind meist nicht explizit sprachlich formuliert, aber von wünschen, befürchtungen und trostbedürfnissen geleitet, unreflektiert und unsystematisch, nicht argumentgestützt, häufig erstaunlich tolerant gegen logische kapriolen und nicht selten mit gravierenden abweichungen von der ‚offiziellen lehre’. dieser volkstümliche glaube ist individuell maßgeschneidert und dient so der besseren bewältigung der unerfreulichen ‚geschäftsbedingungen des lebens’. religion ist also besser als komasaufen!

als soziales phänomen soll der volkstümliche glaube an eine ‚höhere macht’ angeblich dem zusammenhalt im staat dienen. zumindest ist es eine verbreitete überzeugung, dass ungläubige moralisch verdorben sind, wohingegen gläubige glaubensbedingt von moralischen entgleisungen abgehalten werden. doch wir sollten hier fragen: stimmt das? () die biologische dimension: die natur hat bereits in der tierwelt verschiedene spielarten der kooperation von individuen erfunden und als überlebensdienliche strategien bei sozial lebenden tieren etabliert. gleichzeitig entwickelte sich auch die fähigkeit zur trittbrettfahrerei und zum betrug. betrügerisches verhalten bedroht aber nachhaltig eine erfolgreiche kooperation. () die soziologische dimension: der mensch entwickelte kontroll- und bestrafungsstrategien und schuf institutionen (polizei, justiz), um das heer der trittbrettfahrer und betrüger möglichst klein zu halten und damit die bedrohung einer, auf kooperation angewiesenen gesellschaft zu minimieren. diese maßnahmen zeigen einerseits durchaus die gewünschte wirkung, insofern eine bestimmte anzahl an potenziellen betrügern durch abschreckung zu kooperativem verhalten veranlasst werden kann. allerdings nimmt andererseits auch die betrügerische raffinesse zu. eine verstärkung der kontrollen wäre hier also dringend erforderlich. sie ist aber aufwändig, kostspielig und keinesfalls lückenlos möglich. () die theologische dimension: nun wird eine (all)wissende und (all)mächtige transzendente instanz postuliert, die eine lückenlose und fehlerfreie kontroll- und bestrafungsfunktion übernehmen soll. mit dieser maßnahme kann das heer der trittbrettfahrer und betrüger weiter verringert werden, insofern tatsächlich an die existenz einer derartigen instanz geglaubt wird. aber – so ist illusionslos zu fragen – wer glaubt dies schon? nicht einmal kinderschändende priester – obwohl bestens vertraut mit höllendrohungen – glauben es. die neue problemlage besteht demnach darin, dass die lediglich gewünschte, aber anscheinend nicht existierende transzendente instanz ihren zugedachten aufgaben einfach nicht nachkommt. hier gerät der gläubige in eine ernsthafte erklärungsnot und rauft sich die haare, weil er nicht plausibel machen kann, warum diese transzendente instanz untätig bleibt.

jedenfalls kommt es zu einer wechselseitigen kognitiven aufrüstung der religiösen obrigkeit und der betrügerfraktion. fraglich bleibt, ob sich der aufwand lohnt. zahlreiche wissenschaftliche untersuchungen, die klären sollten, ob gläubige tatsächlich auch moralisch bessere menschen sind, ergaben einen merkwürdigen befund. im vergleich reden zwar gläubige deutlich häufiger von moralischen werten, auch bekennen sie sich dezidiert zu moralischen werten, aber sie verhalten sich nicht moralischer als ungläubige. doch wie ist das möglich? es könnte damit zu tun haben, dass religiöse glaubenssysteme immer auch kuriose schlupflöcher für den gläubigen bereithalten. ein kabarettist formulierte dies sehr pointiert: „als ich ein kind war, betete ich zu gott, um ein fahrrad zu bekommen. aber dann musste ich realisieren, dass gott so nicht funktioniert. daraufhin habe ich das fahrrad gestohlen und betete um vergebung.“ dies könnte auch plausibel machen, warum kinderschändende priester ihr übles tun unbesorgt fortsetzen.

der gott der philosophen

zahlreiche philosophen berufen sich auf die philosophische vernunft und versuchen, wissen über einen gott durch rationale überlegungen zu erschließen und durch tiefsinnige gottesbeweise zu sichern. die philosophen hume und kant haben aber in ihren schriften eindrucksvoll gezeigt: eine 2.500-jährige tradition an gottesbeweisen ist grandios gescheitert. für hume steht fest: „gott ist das ebenbild des menschen“ und kant behauptet: „gott ist keine entität des wissens“. aus einer systematischen perspektive handelt es sich um drei knifflige probleme, die philosophisch nicht zu lösen sind: () die existenz gottes, () die wesenseigenschaften gottes und () die rechtfertigung eines untätigen gottes in anbetracht der übel der welt.

mit einem philosophisch konzipierten gottesbegriff ist insbesondere der anspruch verknüpft, die begründungsbedingung für die gotteserkenntnis zu erfüllen. kant hat jedoch überzeugend dargelegt, dass alle gottesbeweise unhaltbar sind und aus prinzipiellen erwägungen scheitern müssen. die drei wichtigsten gottesbeweise sind: () der ontologische gottesbeweis: dieser beweisstrategie zufolge liegt die existenz gottes bereits im gottesbegriff, insofern dieser als etwas absolut vollkommenes gedacht wird. etwas vollkommenes wäre aber nicht ein absolut vollkommenes, wenn ihm keine existenz zukäme. der beweis scheitert, weil die existenz kein logisches prädikat ist, das einem logischen subjekt zukommt, wie etwa das prädikat getigert einem kater zukommt. () der kosmologische gottesbeweis: hier wird angenommen, dass es eine ursache für die existenz der welt geben muss – die dann mit dem begriff ‚gott’ belegt werden kann. grundlegend ist die annahme, dass jedes ereignis eine ursache hat. betrüblicherweise gilt dieser allsatz noch nicht einmal in der physik. die quantentheorie besagt, dass der radioaktive zerfall unverursacht ist. () der teleologische gottesbeweis: diese beweisstrategie behauptet, dass die strukturelle ordnung der welt einem intelligenten schöpfer zu verdanken ist. so wie menschliche artefakte – beispielsweise mausefallen – nur durch ein intelligentes wesen konzipiert und realisiert werden können, so kann die welt nur durch einen (all)wissenden und (all)mächtigen schöpfer geschaffen worden sein. hume hat dieses analogiegestützte argument vernichtend kritisiert. die mausefalle kann nicht belegen, dass in allen fällen von schöpfung stets intelligenz im spiel sein muss. denken wir – anstatt der mausefalle – an ein mäusepaar, dann können wir auf viele kleine mäusekinderchen hoffen. mäusekinderchen sind komplexer organisiert als mausefallen. sex ist hier völlig ausreichend und dies geht bekanntlich mit erstaunlich wenig intelligenz. die entstehung von ordnungsstrukturen kann demnach nicht nur in einem technomorphen modell, sondern auch in einem biomorphen modell begriffen werden.

angesichts der unerfreulichen ‚geschäftsbedingungen des lebens’ ist die frage, warum der ‚liebe gott’ die übel nicht beseitigt, eine außerordentlich widerspenstige frage, die philosophen und theologen schon oft schlaflose nächte bereitete. dieses so genannte theodizeeproblem hat es in sich. obwohl gott alle übel kennt – er ist (all)wissend – und obwohl er sie beseitigen könnte – er ist (all)mächtig – tut er dies erkennbar nicht. ein eklatanter mangel an göttlicher hilfsbereitschaft! folglich gilt: gott ist nicht (all)gütig! juristisch gesehen müsste gott nach §323c des deutschen strafgesetzbuches ständig wegen unterlassener hilfeleistung angeklagt werden. ein konsequent konzipierter gottesbegriff hätte zur folge, dass wir gott ‚lebenslänglich in den knast’ stecken müssten. aber vielleicht ‚sitzt’ er ja bereits. das würde jedenfalls plausibel machen, warum er nicht hilft.

der gott der mystischen erlebnisse

gottesempfindungen berufen sich auf ein subjektives erleben, das in bestimmten versenkungspraktiken (gebet, meditation, askese, trance, erleuchtung, berufung) möglich sein soll. hier wird stets darauf verwiesen, dass eine sprachliche formulierung und eine argumentgestützte begründung prinzipiell nicht möglich sind und auch nicht verlangt werden können, weil es sich um phänomene der innenperspektive handelt. dieses erleben beruht auf veränderungen der bewusstseinszustände, die aber nicht nur durch bestimmte versenkungspraktiken, sondern auch durch externe einflüsse wie elektrische oder magnetische stimulationen von bestimmten gehirnarealen oder durch die einnahme psychoaktiver substanzen ausgelöst werden können. neurowissenschaftler haben in zahlreichen experimenten gezeigt, dass die stimulierung bestimmter gehirnareale zu einem subjektiven erleben führen kann, das von gläubigen probanden als religiöses erleben gedeutet wird. doch was bedeutet dies? grundsätzlich ist einem menschen die deutungshoheit über sein subjektives erleben nicht abzusprechen, aber die deutung als transzendenzerfahrung geht über den eigentlichen erlebensgehalt weit hinaus und führt außerdem zu unsinnigen konsequenzen.

philosophisch gesehen sind diese deutungen unzulässig und zwar aus drei gründen. () der schluss auf eine konkrete ursache: es wird vom subjektiven erleben auf eine konkrete ursache geschlossen. solange der proband sich darauf beschränkt, sein erleben in der sprache der innenperspektive irgendwie zum ausdruck zu bringen, ist dagegen nichts einzuwenden. sobald er jedoch eine konkrete ursache benennt, verlässt er die innenperspektive. () der schluss auf eine transzendente ursache: es wird aus dem spektrum von möglichen ursachen sogar eine transzendente ursache gewählt. der mensch ist so angelegt, dass er stets nach deutungen sucht. wenn mehrere denk-optionen verfügbar sind, dann spielen persönliche vorlieben und neigungen eine entscheidungseffektive rolle. alternative möglichkeiten – beispielsweise gehirninterne ursachen – werden entweder ignoriert oder abgewiesen. doch warum? die annahme transzendenter ursachen fühlt sich einfach prickelnder an. () der schluss auf eine ganz bestimmte transzendente ursache: aus dem uferlosen spektrum möglicher transzendenter ursachen schließt der gläubige proband auf genau diejenige ursache, die ihm kulturell bekannt ist. anhänger christlicher lehren machen in ihrem religiösen erleben eher selten die bekanntschaft mit shiva oder vishnu und umgekehrt werden hindus nicht zum glauben an jahwe oder jesus bekehrt. demzufolge deuten gläubige probanden ihre experimentell erzeugten mystischen erlebnisse stets in übereinstimmung mit den bereits liebgewonnenen glaubensinhalten. nehmen wir probeweise an, dass die transzendenten deutungen der gläubigen probanden zutreffend sind, welche konsequenzen müssten wir dann akzeptieren? wir müssten annehmen, dass die entsprechenden götter – sei es nun jahwe, jesus, shiva oder vishnu – stets auf der lauer liegen, um genau dann ihren lieblingsgläubigen zu erscheinen, wenn die entsprechenden experimente ausgeführt werden.

der gott der offenbarung als entität des wissens

diese gottesbegriffe meinen den gott der monotheistischen religionen. sie berufen sich auf eine ‚heilige schrift’, die angeblich von gott (quasi)inspiriert sein soll und auf eine besondere theologische vernunft, die von gott geschenkt ist. hier geht es also nicht darum, dass der mensch einen gott sucht, sondern umgekehrt, dass sich ein gott mitteilen will, der den menschen in güte zugewandt ist. der gedanke der selbstmitteilung gottes erscheint einerseits vielversprechend und zwar gerade deshalb, weil er nicht dem menschen die last der gottesbeweise durch die philosophische vernunft aufbürdet. andererseits muss dann aber ein präzises abgrenzungskriterium verfügbar sein, das es ermöglicht, echte selbstoffenbarungen gottes von abstrusen privatoffenbarungen durch mystische erlebnisse zu unterscheiden. um diese probleme zu bewältigen, wird dann eine besondere theologische vernunft bemüht, die nur einigen wenigen auserwählten – beispielsweise propheten, aposteln, päpste – zuteil wird. eine wichtige vertreterin dieser position ist die katholische kirche. in ihrer 2.000-jährigen tradition hatte sie stets grund, allzu fantastischen hirngespinsten von besonders erleuchteten gestalten einhalt zu gebieten. immerhin gibt es mindestens 30 evangelien und nicht nur die vier – vom vatikan – anerkannten. aber warum sollte die katholische kirche ein monopol auf die deutung einer göttlichen offenbarung haben?

in philosophischer perspektive geht es um eine drei-stellige relation (gott x, offenbarung y, mensch z), die zu einer vielfalt von bizarren problemen führt. () das existenzproblem: x bezieht sich auf einen transzendenten gott. gibt es diesen gott und will er sich überhaupt den menschen mitteilen? wenn ja, sollten wir dann nicht annehmen, dass es einem (all)mächtigen, (all)wissenden und (all)gütigen gott möglich ist, sich in unbezweifelbarer weise kund zu tun? doch warum tut er es nicht? will er es nicht oder kann er es nicht? hier drängt sich dann der schlimme verdacht auf, dass die existenz gottes vielleicht deshalb nicht geklärt werden kann, weil es nur menschlicher selbstüberschätzung zu verdanken ist, wenn wir annehmen, es müsse einen gott geben, der unbedingt mit uns reden will. () das auswahlproblem: y steht für das angeblich geoffenbarte wort gottes. nehmen wir probeweise an, es gibt einen mitteilungswilligen gott. welche der zahlreichen ‚heiligen schriften’ (gatha, tora, bibel, koran u.v.a.) darf göttliche urheberschaft beanspruchen? trifft der gläubige die wahl im wirrwarr der ‚heiligen schriften’, dann macht er sich selbst zum maß aller dinge. hört er aber bereits auf eine ‚heilige schrift’, die ihm die ‚göttliche gnade’ der richtigen wahl zusichert, dann muss zuvor klar sein, welche ‚heilige schrift’ berechtigt ist, ihren gott zu empfehlen. dabei stellt sich allerdings das kuriose problem, dass alle auf dem markt erhältlichen offenbarungsangebote eher nach dubiosen menschlichen machwerken, denn nach göttlichen botschaften eines ‚lieben gottes’ aussehen und wenig überzeugend sind. sollten wir darüber hinausgehend nicht von einem redseligen gott erwarten dürfen, dass seine selbstoffenbarung allen menschen – ausnahmslos und mit gleichem wortlaut – zuteil wird? da die menschheitsgeschichte aber eine beeindruckende anzahl von ‚selbsternannten auserwählten’ mit ‚selbstgebastelten göttlichen botschaften’ zu bieten hat, bleibt offen, nach welchen kriterien hier die entscheidung zu treffen ist. ist es plausibel, dass ein ‚himmlischer vater’ seine ‚irdischen kinderchen’ ratlos mit diesem wirrwarr sitzen lässt? () das deutungsproblem: z bezieht sich auf den adressaten der göttlichen offenbarung. nehmen wir probeweise an, es gibt einen mitteilungswilligen gott und die wahl der ‚heiligen schrift’ ist kühn getroffen. wer ist dann deutungsberechtigt und wodurch wird er deutungskompetent? hier kommt der ‚heilige geist’ ins spiel, der angeblich für eine besondere gottgeschenkte vernunft sorgt. wenn dies zutrifft, wie können wir dann verstehen, dass auch unter braven theologen, die sich selbst für deutungsberechtigt halten, kein konsens besteht? handelt es sich hier nur um eine schmeichelhafte selbstzuschreibung oder ist der ‚heilige geist’ einfach unfähig, sich deutlich zu artikulieren? die vernunft, die in diesem epistemischen zugang bemüht wird, ist gerade nicht die philosophische vernunft, sondern eine theologische vernunft. diese besondere vernunft ist angeblich von gott geschenkt, durch den ‚heiligen geist’ bewirkt und ermöglicht es, ‚kirchliche wahrheiten’ ex cathedra zu verkünden. dies bedeutet, dass beispielsweise der papst als der, vom heiligen geist gedrängte geistgetränkte festlegt, was als vernünftig gelten kann. wir wissen aber nur durch die selbstauskunft dieser person, dass sie über diese gottgeschenkte vernunft verfügt. handelt es sich folglich lediglich um einen besonders krassen fall von selbstbeweihräucherung? im auftrag des allerhöchsten die ganze welt zu belehren und zu bekehren ist für narzissten die ultimative ‚ego-politur’!

der gott der offenbarung als entität des vertrauens

die moderne christliche diskussion zum gottesbegriff berücksichtigt mitunter kants einsicht, dass gott keine entität des wissens sein kann. der neue gottesbegriff bezieht sich zwar ebenfalls auf einen mitteilungswilligen gott und beruft sich auf eine ‚heilige schrift’, der unterschied zur vorigen variante besteht aber in der einsicht, dass gott nur ein adressat des glaubens und hoffens sein kann. damit verabschiedet sich dieser epistemische zugang von einem gottesbegriff, der gott als eine substanz mit schwer benennbaren wesenseigenschaften – (all)mächtig, (all)wissend, (all)gütig – versteht. stattdessen wird der gottesbegriff als relationaler begriff eingeführt, der ein gottgeschenktes vertrauen des menschen zu gott thematisiert. grundlegend für die weiteren überlegungen ist dann der theologische kernbegriff des glaubens „ich glaube dir …“ im sinne von „ich vertraue dir …“ mit bezug auf gott. die betonung des gottesglaubens im sinne einer persönlichen vertrauenshaltung im unterschied zur gotteserkenntnis wird insbesondere von der evangelischen kirche vertreten. die selbstoffenbarung wird hier als ein heilsversprechen gelesen und der gläubige vertraut auf die göttliche heilszusage. die gottesrede wird als eine persönliche vertrauensbeziehung verstanden und mit dem treueversprechen bei der eheschließung vor dem standesamt verglichen. diese ehe-metapher wird ausdrücklich bereits in der bibel etabliert – beispielsweise wenn die gemeinschaft der gläubigen als ‚braut christi’ bezeichnet wird. wenn davon die rede ist, dass der gläubige auf gott vertraut, wie die braut ihrem bräutigam vertraut, kann dies dann überhaupt durch philosophische reflexionen kritisch beurteilt werden? endet hier vielleicht die zuständigkeit der fragelustigen philosophin? der vertrauensselige gläubige sagt „ja“ und die philosophin sagt entschieden „nein“.

bei genauerer betrachtung handelt es sich um einen sehr merkwürdigen vergleich mit einem höchst eigenartigen vertrauensverhältnis. in philosophischer perspektive geht es um drei akteure (braut x, bräutigam y, bote z). das „ja“ der eheschließung ist keine feststellung eines sachverhalts, sondern ein versprechen zwischen künftigen ehepartnern und das vertrauen darauf, dass das gegebene treueversprechen eingehalten wird. wie die braut ihr vertrauen auf das treueversprechen des bräutigams setzt, so setzt der gläubige sein vertrauen auf die göttliche heilszusage. der gläubige ist also nicht durch ein wissen von gott (metaphysische theorie) ausgezeichnet, sondern durch das vertrauen in gott (religiöse lebenspraxis). aber ganz ohne wissensansprüche geht es auch hier nicht! () das glaubwürdigkeitsproblem bezüglich y: das vertrauensverhältnis setzt die glaubwürdigkeit des bräutigams y voraus, auf die sich das vertrauen der braut x richtet. für die einschätzung der glaubwürdigkeit muss sich die braut auf ihre bisherigen erfahrungen mit dem bräutigam stützen. eine braut, die ihren bräutigam gar nicht kennt, sollte sich besser nicht auf ein derart riskantes spiel einlassen und stattdessen an schillers klugen ratschlag denken: „drum prüfe, wer sich ewig bindet …“ bezogen auf gott steht hier also die glaubwürdigkeit gottes auf dem spiel. doch wodurch soll sich gott als glaubwürdig erwiesen haben? alle zukünftigen und jenseitigen heilszusagen sind prinzipiell nicht überprüfbar. alle vergangenen und diesseitigen heilszusagen – beispielsweise, dass gebete erhört werden und dass das gottesreich in kürze komme – haben sich als unzutreffend erwiesen. jesus war ein falscher prophet! das sollte jeder wissen! () das glaubwürdigkeitsproblem bezüglich z: vor dem standesamt erscheint aber nicht der bräutigam y höchstselbst, sondern ein, angeblich vom ihm legitimierter bote z, der das treueversprechen des bräutigams überbringt. das vertrauen der braut bezieht sich demnach nicht direkt auf einen bräutigam, sondern indirekt auf die aussagen eines boten. sollte sich eine braut auf ein derartiges wagnis einlassen? würde ein standesamt ein treueversprechen durch einen boten überhaupt akzeptieren? bezogen auf gott muss hier also die glaubwürdigkeit der angeblich von ihm beauftragten propheten, evangelienschreiber und aller nachfolgenden kirchenvertreter gesichert sein. wie kann der gläubige auf die glaubwürdigkeit einer schier endlosen anzahl von boten z1, z2, z3 … vertrauen, die sich in einer 2.000-jährigen geschichte als ‚zwischenhändler der heilsbotschaften’ angesammelt haben, zumal sie ihm alle völlig unbekannt sind? () das existenzproblem: zu allem übel weiß die braut x nicht einmal, ob ihr bräutigam y überhaupt existiert. gibt es ein standesamt, das eine trauung vornehmen würde, solange der dringende verdacht besteht, dass sich die braut den bräutigam nur einbildet? die ehe-metapher scheint folglich ein ziemlich schräges bild für den gottesglauben zu sein. die frage nach der existenz gottes, den wesenseigenschaften gottes und der rechtfertigung eines untätigen gottes in anbetracht der übel der welt wird der vertrauensselige auch hier nicht los!

3. warnung vor risiken & nebenwirkungen

die bisherigen philosophischen reflexionen dürften wohl deutlich machen, dass alle epistemischen zugänge nicht das leisten, was der gläubige von ihnen erhoffen mag. dennoch wird er vermutlich an seinem religiösen glauben festhalten. warum tut er dies? der grund – so können wir annehmen – ist ein natürliches bedürfnis angesichts der unerfreulichen ‚geschäftsbedingungen des lebens’ und der wunsch nach ‚ego-politur’ und ‚trostpflästerchen’ mit einem hohen wohlfühl-potenzial. dürfen wir uns – so könnten wir fragen – denn nicht wohlfühlen? wir dürfen uns wohlfühlen, aber wir sollten die risiken und nebenwirkungen beachten!

religion hat es mit mindestens drei nebenwirkungen zu tun: () das problem der mangelnden konsistenz: dieses problem besagt, dass religiöse überzeugungen nicht konsistent formulierbar sind. jeder epistemische zugang geht von problematischen annahmen aus und führt zu unsinnigen konsequenzen, die dann nicht weiter bedacht werden: denken wir nur an das existenzproblem (‚braut ohne bräutigam’) oder das theodizeeproblem (‚gott im knast’). würde dies aber bedacht werden, dann wäre es eine ergiebige quelle für glaubenszweifel. das konsistenzproblem ist vielleicht nicht sehr besorgniserregend, zumal unser denken ohnehin erstaunlich tolerant gegen inkonsistenzen ist. doch es kommt viel schlimmer! () das problem des ultimativen hochmuts: hier geht es – aus der sicht eines ungläubigen – um den eher unerfreulichen charakter der gläubigen. der gläubige behauptet, dass es einen gott gibt, der für ihn einen heilsplan erdacht hat und der – im falle des judentums – ein ganzes völkchen zum ewigen priestervolk erwählt hat und der – im falle des christentums – sogar seinen sohn auf die erde schickte, wobei dieser zu heilszwecken an ein kreuz getackert wurde. der gläubige, der glaubt, dass dieser gott von ihm notiz nimmt, kann nicht gerade als vorzeigebeispiel für bescheidenheit gelten. hier zeigt sich ein sehr ernsthaftes problem, das keinesfalls ignoriert werden darf. wenn wir berücksichtigen, dass lediglich menschen die story über einen göttlichen heilsplan behaupten, dann liegt der dringende verdacht nahe, dass es sich um einen besonders schweren fall von selbstüberschätzung und selbstbeweihräucherung handelt. sollte ein gott tatsächlich die absicht hegen, sich mit dermaßen selbstverliebten wesen zu umgeben, dann lässt dies für den göttlichen charakter auch keine erfreulichen annahmen zu. mit einem satz: die jüdisch-christliche religion ist nicht nur töricht, weil einige ihrer anhänger ihren gott verspeisen, nachdem sie ihn zuvor erfunden haben, sondern sie ist auch in einem unerträglichen maße narzisstisch gestört. psalm 8.5-7 bringt unbeabsichtigt die selbstüberschätzung deutlich zum ausdruck: „was ist der mensch, dass du [gott] seiner gedenkst …? du [gott] hast ihn wenig niedriger gemacht als gott, mit ehre und herrlichkeit hast du ihn gekrönt. du hast ihn zum herrn gemacht über deiner hände werk, alles hast du unter seine füße getan“. das lesen wir doch gerne! das problem des ultimativen hochmuts ist zwar ein fall einer sich selbst entlarvenden selbstschmeichelei, aber noch immer nicht wirklich besorgniserregend. doch es kommt noch viel schlimmer! () das problem der ultimativen destruktion: die offenbarungsreligionen (judentum, christentum, islam) beinhalten ein bemerkenswertes destruktionspotenzial, weil sie die tatsächliche abhängigkeit des menschen von der natur verschleiern. die natur wird zur bloßen schöpfung eines vom menschen selbstgebastelten gottes herabgewürdigt und dieser mensch erklärt sich selbst zum ebenbild gottes, stellt sich über die natur und beansprucht die herrschaft über sie. aber spätestens hier hört der spaß endgültig auf, denn die selbstüberschätzung wird gefährlich. wir sollten es einsehen und zugeben: als herrscher über die natur sind wird nicht kompetent! übrigens: ein (all)wissender gott hätte dies bei der schöpfung bedenken und berücksichtigen müssen!

* … was würde der ‚liebe gott’ dazu sagen?

einige zeit nachdem ich diesen essay verfasst hatte, passierte es dann … eines nachts erschien mir der ‚liebe gott’ im traum, um sich bitterlich bei mir auszuweinen. ich war zuerst etwas erstaunt: „es gibt ihn also doch!“, dachte ich überrascht und weiter: „wieso meldet er sich ausgerechnet bei mir – einer agnostikerin?“ aber nachdem ich ihm die halbe nacht aufmerksam zugehört hatte, verstand ich ihn nur zu gut.

der ‚liebe gott’ beklagte sich bitterlich darüber, dass die gläubigen ein ziemlich merkwürdiges verhalten zeigen – ein verhalten, das ihn einfach nur nerve. er hatte anscheinend beobachtet, dass ich eine spaßhaltige, agnostisch-naturalistische weltanschauung pflege und daher beschloss er, eben mit mir zu reden. er wollte von mir wissen, ob das verhalten dieser selbsternannten gottesanhänger mit den mitteln der kognitionspsychologie erklärt werden könne und was er nun tun solle. ich gestand ihm, dass ich leider keine psychologin sei, sondern nur eine freche philosophin und ihm daher auch nicht weiterhelfen könne. er war etwas enttäuscht und fragte mich, ob die gläubigen jemals darüber nachgedacht hätten, wie er sich eigentlich bei diesem kuriosen religionszirkus so fühle. blitzschnell wurde mir klar, dass der ‚liebe gott’ hier eine berechtigte forderung nach perspektivenübernahme und mitgefühl stellt. jedenfalls wollte er klarstellen, dass er sich ausnahmslos von allen gottgläubigen auf dem planeten erde entschieden distanziere und er versicherte mir glaubwürdig, dass er keinen einzigen von ihnen erwählt habe. stattdessen verglich er synagogen, kirchen und moscheen mit waschsalons, die wahlweise freitags, samstags oder sonntags gehirnwäsche betreiben.

dann erzählte er mir en detail, was ihn so nervt. „am schlimmsten sind die vatikanesen!“ sagte er. „stell dir vor, sie spritzen mit weihwasser herum und verströmen ständig weihrauch. von diesem geruch wird mir immer übel und ich halte mir die nase zu, damit ich mich nicht übergeben muss. sie ziehen – obwohl ausnahmslos männlichen geschlechts – eigenartige frauenkleider an, setzen sich bunte mützchen auf und manchmal ziehen sie sogar rote schühchen an. ich kann diese lächerlichen klamotten einfach nicht mehr sehen und halte mir schon die augen zu. überall hängen sie gipsfigürchen auf von einem fast nackten mann, den sie an ein holzkreuz getackert haben und von dem sie behaupten, er sei mein sohn. skandal! dann machen sie vor diesem gipsfigürchen erst ein sehr betrübtes gesicht und dann einen tiefen knicks. ist diese knickserei eigentlich der aktuelle trendsport? manche hängen sich dieses arme folteropfer in miniaturausgabe sogar um den hals. widerwärtig, absolut widerwärtig!“ schimpfte er. „sie singen süßliche liedchen, obwohl die meisten völlig unmusikalisch sind. ich kann das alles nicht mehr hören und folglich halte ich mir immer die ohren zu.“ ich war geschockt und fassungslos. „du hockst also im himmel und hälst dir augen, ohren und nase zu?“ fragte ich ungläubig. „genau so ist es“, sagte er verzweifelt, „das ist doch kein leben mehr. doch es kommt noch viel schlimmer. inbrünstig betteln sie um sündenvergebung und fürchten sich vor der unvergebbaren ‚sünde wider den geist’. keine ahnung, was sie damit meinen. ständig belästigen sie mich mit irgendwelchen bittgebeten. ich soll für den weltfrieden sorgen und krampfadern heilen. ich kann das alles gar nicht. von krampfadern verstehe ich nichts und gegen die militärs der amis komme ich ohnehin nicht an. die rüsten wie die vollidioten und ich soll dann die weltkatastrophe verhindern. und seit ein gewisser trump an der macht ist, ist es mit dem weltfrieden noch schwieriger.“

als ich aus dem traum erwachte, hörte ich von der offenen balkontür her ein leises vielstimmiges kichern und glucksen, wie aus 17 kehlen. mich beschlich das eigenartige gefühl, dass es nicht der ‚liebe gott’ war, mit dem ich soeben parlierte. es schien ein geheimnisvolles wesen zu sein, das sich einen köstlichen schabernack mit mir gönnte. schlaftrunken blinzelte ich in die morgendämmerung. doch ich sah nur noch einen todschicken schwanz in ringelsöckchen-optik – wie ihn sonst nur die extravaganten kattas auf madagaskar tragen – über das balkongeländer huschen.

 

 

märz 2419 n. sok.

philosophischer essay 2,
verfasst von einer philosophin
im pelz eines getigerten katers

 

das ‚spiel moral’
und seine spielvarianten …

ein riskantes spiel mit kollateralschäden

 

1. die frage nach der moral

2. die natur und ihre spieler …

das ‚spiel leben’
… das ‚spiel x’
… das ‚spiel moral’

3. der naturwissenschaftliche blick auf die moral

4. das ‚spiel moral’ und seine spielvarianten …

das ‚spiel moral & pflicht’
… das ‚spiel moral & der ‚liebe gott’’

5. das ‚spiel moral’ – ein ‚krieg’ mit kollateralschäden

* … was würde der ‚liebe gott’ dazu sagen?

 

1. die frage nach der moral

der mensch ist ein spieler und er hat eine beeindruckende vielfalt von spielen erfunden. einige spiele nimmt er besonders ernst: fußball, sex und moral. im folgenden soll es um moral gehen – auch wenn dies eher langweilig und sex viel aufregender ist. der mensch denkt, dass er ein wesen sei, das grundsätzlich befähigt ist, moralisch gut zu sein. das bedeutet, er glaubt, er könne gut sein, wenn er nur wolle. manchmal will er zwar nicht, aber das übersieht er dann gern. er ist mächtig stolz darauf, moralfähig zu sein, denn dies unterscheidet ihn angeblich von den ‚völlig amoralischen tieren’ und diese unterscheidung ist ihm besonders wichtig. es ist eine verbreitete überzeugung, dass diese fähigkeit den menschen irgendwie aus der natur heraushebt und dass gerade deshalb dem menschen auch eine sonderstellung gegen die natur zugesprochen werden darf und muss. grundlage dieser überzeugung ist ein menschenbild, das in abgrenzung zu einem bestimmten bild von der natur entworfen wird. aber – so ist zu fragen – stimmen diese bilder überhaupt?

die lebenspraxis belegt es: der mensch erscheint – moralisch gesehen – manchmal gut und manchmal nicht. der begriff ‚moral’ soll hier nicht philosophisch eingeführt, sondern im sinne des alltagsverständnisses vorausgesetzt werden. eine anthropologische untersuchung könnte dann in systematischer perspektive vier problemfelder thematisieren: () der ursprung der moral: warum ist der mensch manchmal moralisch gut? ist es ein verdienst der religion, der kultur oder der natur? () die selbsteinschätzung als moralisches wesen: warum halten sich fast alle menschen für moralisch besser als sie tatsächlich sind? warum halten sie sich häufig für moralisch besser als andere menschen? wie gehen die meisten menschen mit ihren eigenen moralischen defiziten um? warum blenden sie die eigene unmoral beharrlich aus, wohingegen sie die unmoral der anderen menschen in ein grelles licht stellen? () die selbsteinschätzung der handlungswirksamen motive: warum empören sich menschen über die unterstellung, dass sie nur deshalb moralisch sind, weil sie damit vorteile gewinnen und nachteile vermeiden können? warum sind menschen oftmals davon überzeugt, dass sie sich an moralischen idealen orientieren? warum glauben religiöse menschen sogar, dass sie besonders noble motive haben, weil sie den willen gottes tun? () haben die anhänger gewisser radikal-naturalistischer positionen recht, wenn sie auf evolutionäre prinzipien verweisen und behaupten, dass der egoismus überlebensnotwendig und der altruismus lediglich eine trickreiche heuchelei ist. ist ihr berüchtigter slogan „kratz einen altruisten und ein heuchler wird bluten!“ zutreffend?

gehen wir spielerisch an das thema und betrachten das leben als ein spiel! entwickeln wir eine verspielte theorie und versuchen wir auf die gestellten fragen einige antworten zu finden! integrieren wir evolutionäre und neuronale befunde! dann zeigt sich: das bild von der natur ist unzutreffend! das bild vom menschen ist unzutreffend! die moral gibt es in verschiedenen spielvarianten! die ‚natürliche moral’ ist naturgegeben! sie ist unverzichtbar, denn sie ermöglicht ein friedliches zusammenleben und dies gilt bereits in der tierwelt! das ‚spiel moral’ befördert nicht die moral, sondern es dient dem eigenen wohlbefinden und der selbstbeweihräucherung! das ‚spiel moral’ ist ein ‚krieg’ mit kollateralschäden!

2. die natur und ihre spieler …

die natur versammelt eine beeindruckende gemeinschaft von spielern – pflanzen, tiere und menschen –, die alle am ‚spiel leben’ teilnehmen. das ‚spiel leben’ ist die grundlage und voraussetzung dafür, dass höherentwickelte spieler artspezifische spiele erfinden können, die wir dann als ‚spiele x’ bezeichnen wollen. ein bemerkenswertes beispiel für ein ‚spiel x’ ist das ‚spiel moral’.

das ‚spiel leben’

das ‚spiel leben’ lässt sich durch drei merkmale charakterisieren: () die auseinandersetzung mit der lebenswelt: jeder spieler hat eine ansammlung von verhaltensstrategien zur verfügung. dazu gehören insbesondere strategien des individuellen und des kollektiven überlebens. wer hier nachhaltig versagt und nicht mithalten kann, wird sein leben gefährden oder sogar einbüßen. dazu gehört beispielsweise, dass tiere genügend nahrung finden und gut aufpassen, wenn sie über die straße gehen. für menschen trifft dies auch zu. () der austausch mit den mitspielern: höherentwickelte lebewesen sind häufig sozial organisiert. sie haben zusätzliche strategien der kooperation, konfrontation und kommunikation zur verfügung, die teils genetisch fixiert und teils erlernt sind. die sozialen interaktionen sind bereits in der tierwelt so komplex, dass fairness eine rolle spielt. löwen gehen beispielsweise im rudel auf die jagd und müssen sich dann die beute teilen. fressen die ranghöchsten immer alles und gehen die rangniederen immer leer aus, dann werden die einen adipös und die anderen verhungern. bald gäbe es dann im rudel keine löwen mehr, die künftig noch zum jagderfolg beitragen könnten. deshalb tun löwen dies nicht. beim menschen ist dies strukturell ähnlich. wir leben in einer arbeitsteiligen gesellschaft, die in einem sehr hohen maße auf kooperation angewiesen ist. () die unterwerfung unter naturgegebene spielregeln: jeder spieler wird in seinem verhalten durch spielregeln eingeschränkt. diese spielregeln sind bedingungen, die von der natur selbst diktiert werden. damit sind einerseits die physikalischen und chemischen naturgesetze gemeint, andererseits das bio-psycho-soziale bedingungsgeflecht, dem die spieler unterworfen sind. zum ‚spiel leben’ gehören beispielsweise krieg – buchstäblich oder metaphorisch verstanden – als kampf um ressourcen, sex als mittel der fortpflanzung und eine ‚natürliche moral’ als garant eines friedlichen zusammenlebens. bei affen ist das ‚grooming’ besonders wichtig – nicht nur um läuse loszuwerden, sondern um die emotionale bindung zwischen den affen zu stärken. beim menschen geht es weniger um läuse, als um zuneigung, lob und anerkennung. wir sind begierig danach. missachtung und demütigung befördern äußerst wirkungsvoll die kriminalität.

in der tat – und dies ist natürlich wichtig – die natur stattet sozial lebende tiere mit einer ‚natürlichen moral’ aus. das befolgen ‚moralischer spielregeln’ ist nicht vollständig genetisch fixiert, sondern teilweise erlernt. folglich gibt es bereits in der tierwelt einen bestimmten spielraum für sozialisierungsmaßnamen im geflecht bio-psycho-sozialer bedingungen. verschiedene affenarten befolgen unterschiedliche ‚moralische spielregeln’: bärenmakaken sind beispielsweise von natur aus versöhnungsbereiter als rhesusaffen. wird aber ein rhesusäffchen in eine gruppe von bärenmakaken integriert, dann lernt es deren ‚moralische spielregeln’. allgemein gilt: wer die spielregeln der natur grundsätzlich nicht beherzigt, lebt gefährlich. er findet keine freunde, aber stattdessen vielleicht ein vorzeitiges ende. der tod eines spielers ist dann als ausstieg aus dem ‚spiel leben’ zu verstehen.

das ‚spiel x’

bereits in der tierwelt wird eifrig gespielt. es gibt artspezifische spiele, die nicht direkt dem überleben dienen – wir wollen sie als ‚spiele x’ bezeichnen. wohl bekannte beispiele sind katzen, die hinter bällchen herjagen. weniger bekannte beispiele sind rabenvögel, die im winter auf verschneiten hausdächern ‚schlitten fahren’. aber warum tun tiere dies? hochentwickelte vögel und säugetiere spielen ausgiebig, und zwar einfach deshalb, weil es ihnen spaß macht. besonders interessant sind hunde, die miteinander spielen. kognitive ethologen haben beobachtet, dass hunde ihr spiel stets mit einer ganz charakteristischen ‚spieleverbeugung’ beginnen. im ‚spiel x’ gelten dann ganz andere spielregeln, die im gewöhnlichen ‚spiel leben’ nicht gelten. beispielsweise legt sich im ‚spiel x’ ein ranghoher hund auf den rücken und unterwirft sich so einem rangniederen hund – im ‚spiel leben’ tut er dies nicht. beim ‚spiel x’ verlangen hunde fairness, sonst verlieren sie den spaß am spiel und steigen aus.

das ‚spiel x’ wird bestimmt durch die anzahl der spieler, die spielobjekte und die spielregel-konventionen und lässt sich charakterisieren durch: () die spieler & spielobjekte: zahlreiche spiele erfordern mitspieler und spielobjekte. dazu gehören beispielsweise beim schach zwei spieler, ein schachbrett und diverse schachfiguren in weiß und schwarz. () die spielregel-konventionen: für jedes spiel vereinbaren die mitspieler besondere spielregeln. die regeln des schachspiels legen genau fest, wie die schachfiguren zu bewegen sind und dass sich die mitspieler in ihren spielzügen abwechseln. diese spielregeln sind reine konventionen, sie könnten auch geändert werden. () der ‚als-ob’-charakter: im spiel wird durch die spielregel-konventionen eine neue wirklichkeit hergestellt, die die eigentliche wirklichkeit, in dem das ‚spiel leben’ stattfindet, vorübergehend und teilweise ausblendet, aber nicht aufhebt. der spieler kann jederzeit aus dem ‚spiel x’ aussteigen, wenn es ihm keinen spaß mehr macht. () die naturgegebenen spielregeln: alle spiele unterliegen zusätzlichen bedingungen, die von der natur diktiert werden. ein ausstieg aus diesen bedingungen ist prinzipiell nicht möglich und sie lassen nur einen engen spielraum für die spielregel-konventionen zu. das bedeutet, das ‚spiel leben’ mit seinen bio-psycho-sozialen bedingungen wird bei jedem anderen ‚spiel x’ immer auch mitgespielt.

das ‚spiel moral’

auch der mensch spielt oft und gerne und er verfügt über eine besonders große vielfalt – dazu gehören fußball, sex und moral. fußball ist ein ‚spiel x’, weil es den kampf um beute und den krieg gegen feinde ersetzt. hier wird nur so getan, als ob krieg wäre. damit lassen sich kollateralschäden vermeiden – zumindest solange die beteiligten fangemeinden nicht völlig ausrasten. sex ist dann ein ‚spiel x’, wenn es unter verwendung von verhütungsmitteln die fortpflanzung verhindert. hier wird fortpflanzung nur gespielt, wo sie nicht gewollt ist. mit ausnahme der katholischen kirche finden dies die menschen sehr lobenswert, weil so keine unerwünschten nachkommen produziert werden, die sich dann in ihrem leben mit den folgen des unerwünschtseins herumplagen müssten. damit lassen sich ebenfalls kollateralschäden vermeiden. auch moral kann zu einem ‚spiel x’ werden und zwar insbesondere dann, wenn utopische moralische ideale – zu propagandazwecken gut sichtbar auf die eigene fahne geschrieben – konkret praktizierte fairness ersetzen. hier wird von moral nur geredet, aber nicht nach moral gehandelt.

entscheidend ist also die begriffliche trennung zwischen zwei verschiedenen moralvarianten: () die variante ‚natürliche moral’, die zum friedlichen zusammenleben im ‚spiel leben’ unabdingbar gehört und () die variante ‚spiel moral’, die ein ‚spiel x’ ist und die völlig anderen beweggründen entspringt. charakteristisch für das ‚spiel moral’ ist die annahme, dass der mensch ein ganz besonderes wesen ist, das nicht über eine, von der natur eingebaute ‚natürliche moral’ verfügt, sondern sich – gewissermaßen als luxusvariante – über das bio-psycho-soziale bedingungsgeflecht erheben kann. der ‚als-ob’-charakter des spiels zeigt sich darin, dass diese andere art der moral nicht handlungswirksam wird, sondern ein, nur auf der sprachebene angesiedeltes spiel ist und hauptsächlich der eigenen selbstbeweihräucherung dient.

3. der naturwissenschaftliche blick auf die moral

werfen wir zunächst einen naturwissenschaftlichen blick auf die moral und berücksichtigen wir dabei zwei wichtige perspektiven. () die evolutionäre perspektive: der mensch entwickelte sich aus der tierwelt heraus und unterliegt denselben evolutionären prinzipien. die genaue kenntnis dieser prinzipien ist unverzichtbar, um sowohl das verhaltensspektrum in der tierwelt angemessen zu würdigen, als auch um das traditionelle selbstverständnis des menschen zu korrigieren. bereits in der tierwelt lässt sich ein enorm großes verhaltensspektrum beobachten. hätten wir es mit menschen zu tun, dann würden wir die verhaltensweisen bedenkenlos mit den ausdrücken ‚egoistisches verhalten’ und ‚altruistisches verhalten’ belegen: es gibt krieg, konfrontation, kooperation, freundschaft und selbstaufopferung. schimpansen zeigen mitunter geradezu spektakuläre verhaltensweisen, die wir sonst nur bei menschen vermuten: einerseits wurden kriege unter schimpansen beobachtet, die über mehrere jahre dauerten und mit der totalen ausrottung der bekriegten schimpansengruppe endeten. andererseits wurden aber auch schimpansen beobachtet, die selbstlos ihr eigenes leben einsetzten, um andere schimpansen aus einer lebensgefährlichen bedrohung zu retten. jenseits dieser spektakulären fälle scheint es zumindest im alltagsleben höherentwickelter tiere einen gewissen sinn für fairness zu geben. in affenpopulationen gibt es phänomene, die wir als ‚schlichten bei konflikten’, als ‚trösten bei niederlagen’ und als ‚bestrafen bei regelverstößen’ bezeichnen müssen. die zuständigkeiten sind dabei klar verteilt: die ranghöheren sind für die ‚polizeiarbeit’ zuständig und die rangniederen engagieren sich als ‚schlichter’ und ‚tröster’. das traditionelle bild von der natur begreift die gesamte tierwelt als völlig amoralisch und traut ihnen diese ‚natürliche moral’ prinzipiell nicht zu. doch dieses bild stimmt eben nicht! () die neuronale perspektive: mit dem auftreten phänomenaler bewusstseinszustände werden diverse belohnungssysteme aufgebaut, die verknüpft sind mit einem limbischen system und der ausschüttung spezieller neurotransmitter – beispielsweise dopamin. damit ist eine notwendige neuronale bedingung für die entwicklung artspezifischer spiele erfüllt. dies ereignet sich erstmals – in phylogenetischer perspektive – in der tierwelt bei vögeln und säugetieren und – in ontogenetischer perspektive – bei kindern. diese ‚spiele x’ dienen der befriedigung bio-psycho-sozialer bedürfnisse. damit haben tiere und menschen ein von natur aus eingebautes wohlfühl-suchprogramm, sozusagen ‚google-wohlbefinden’. diese belohnungssysteme sind bei allen verhaltensweisen beteiligt – sie lassen sich nicht abschalten oder austricksen. das wohlfühl-suchprogramm dient aber nicht nur dem eigenen unmittelbaren wohlbefinden, sondern auch dem eigenen mittelbaren wohlbefinden durch die beförderung des wohlergehens anderer wesen. menschen mit hoher kompetenz in perspektivenübernahme und empathie fühlen sich gut, wenn es auch anderen menschen gut geht. neuronale grundlage dafür sind die spiegelneuronen, die nicht nur dann aktiviert werden, wenn es uns selbst betrifft, sondern auch, wenn es andere betrifft. ohne spiegelneuronen wären wir ‚gefühllose gefrierschränke’. entdeckt wurden die spiegelneuronen übrigens bei affen – auch die tierwelt hat also einfühlsame wesen und dies erklärt vielleicht auch ihren sinn für fairness. eine menschliche spielergemeinschaft, die das moralische verhalten effizient befördern will, sollte größte anstrengungen unternehmen, um die empathiefähigkeit ihrer mitspieler zu stärken. am nachhaltigsten wird dies durch viel zuwendung, lob und anerkennung erreicht – am allerwenigsten wohl durch die predigt des pastors am sonntag!

4. das ‚spiel moral’ und seine spielvarianten …

belohnungssysteme spielen im ‚spiel leben’ eine wichtige rolle. damit wird verständlich, dass die ‚natürliche moral’ nicht nur – aus evolutionärer perspektive – überlebensdienlich, sondern – aus neuronaler perspektive – mit einem wohlfühl-potenzial verknüpft ist. der sprachfähige mensch erfindet nun – im unterschied zu tieren – zusätzlich das ‚spiel moral’ und spielt es mit großer hingabe. doch warum spielt er es überhaupt? warum muss das ‚spiel moral’ sorgfältig abgegrenzt werden von der ‚natürlichen moral’, die im ‚spiel leben’ verankert ist? welche funktion hat das ‚spiel moral’ rückwirkend auf das ‚spiel leben’? die belohnungssysteme spielen nicht nur im ‚spiel leben’, sondern immer auch beim ‚spiel moral’ eine rolle und zwar eine ganz besonders merkwürdige rolle.

die ‚spiele x’ werden nach besonderen spielregel-konventionen gespielt. im ‚spiel moral’ sind dies hauptsächlich vier spielregeln:

- spielregel 1: bekenne dich zu einer besonders noblen moral, auch wenn du sie in der lebenspraxis überhaupt nicht beachtest!

spielregel 2: lass nicht zu, dass jemand moralisch besser dasteht als du! lenk die aufmerksamkeit immer auf die unmoral der anderen menschen! verschweige und verberge sorgsam deine eigene unmoral!

- spielregel 3: falls dich jemand auf deine unmoral hinweist, dann gib gute gründe an, warum du dich zwar zu einer noblen moral bekennst (theorie), aber bei dir die dinge leider so liegen, dass du ihr bedauerlicherweise doch nicht folgen kannst (lebenspraxis)!

- spielregel 4: verweise streng darauf, dass du stets aus edlen motiven gut bist! sollte jemand behaupten, dass du nur deshalb gut bist, weil du vorteile gewinnen und nachteile vermeiden möchtest, dann sei entrüstet und beleidigt!

gut versorgt mit diesen und ähnlichen spielregeln können spieler das ‚spiel moral’ unbekümmert spielen, ohne in ihren alltagsgeschäften durch lästige moralische verpflichtungen behindert zu werden. im gegenteil – sie genießen alle wohlfühl-vorzüge, die ein gut sortiertes system von belohnungen zu bieten hat. welche rolle spielen hier die belohnungssysteme? () es fühlt sich gut an, moralisch gut zu sein. dabei ist es bereits ausreichend, wenn wir nur davon überzeugt sind, dass wir gut sind, auch wenn wir es tatsächlich nicht sind. das bekenntnis zu einer noblen moral genügt für das wohlbefinden. dies sichert, dass spielregel 1 erfolgreich ist. () es fühlt sich gut an, moralisch besser zu sein als die mitspieler. daher gehen wir gerne davon aus, dass wir im moralischen vergleich zu anderen spielern besonders gut abschneiden. dies garantiert den erfolg von spielregel 2. diese spielregel ist bereits aus der bibel bekannt. in lukas 18.11 sagt jesus: „der pharisäer stand und betete bei sich selbst: ich danke dir, gott, dass ich nicht bin wie die andern leute, räuber, ungerechte, ehebrecher oder auch wie dieser zöllner.“ () sollte ein mitspieler die unverfrorenheit besitzen, uns auf unsere inkonsequenzen hinzuweisen, dann betonen wir gerne, dass es in unserem speziellen fall geradezu unmenschlich wäre, hier keine ausnahme von der noblen moral zuzulassen. wir beruhigen uns, indem wir uns einreden, dass wir der noblen moral gerne gefolgt wären, wenn nur die umstände es nicht völlig verhindert hätten. dieses höchst willkommene schlupfloch gewährleistet spielregel 3. () um uns nicht dem verdacht auszusetzen, wir seien schnöde nutzenmaximierer, beharren wir auf unseren edlen motiven. falls dies ein mitspieler unnötigerweise in zweifel zieht, weil auch er nach spielregel 2 spielt, dann verweisen wir entrüstet darauf, dass dies eine infame unterstellung sei. spielregel 4 ist hier besonders nützlich, denn der mitspieler fühlt sich dann schuldig und schweigt – zumindest für den augenblick.

das ‚spiel moral’ gibt es als alltägliche standardvariante oder als ultimative luxusvariante mit einem unüberbietbaren wohlfühl-faktor in den beiden geschmacksrichtungen ‚spiel moral & pflicht’ und ‚spiel moral & der ‚liebe gott’’.

das ‚spiel moral & pflicht’

die erste luxus-variante saugt ihren wohlfühl-nektar aus der angeblichen sonderstellung des menschen gegen die natur. charakteristisch für das spiel ist, dass die bio-psycho-sozialen bedingungen sorgsam ausgeblendet werden. das ‚spiel moral & pflicht“ geht von drei annahmen aus: () von natur aus ist der mensch zwar böse, aber er kann durch kultur moralisch veredelt werden, weil diese veredelung seine eigentliche bestimmung als vernünftiges wesen ist. () der mensch übernimmt eine doppelte rolle: einerseits begreift er sich selbst als moralischer gesetzgeber und andererseits unterwirft er sich dann seinen eigenen moralischen gesetzen. dabei beschränkt sich der mensch nicht auf das ‚moralisch machbare’, sondern er entwirft ein ‚moralisches ideal’, an dem er sich orientieren will. () der mensch verfügt über einen ‚freien willen’. er kann – so wird zumindest gemutmaßt – das bio-psycho-soziale bedingungsgeflecht aushebeln und allein aus achtung vor dem moralischen gesetz die pflicht tun. folglich ist die moral eine reine kulturleistung und sie ermöglicht es dem menschen, sich über die natur hinaus zu erheben. so jedenfalls hat dies der philosoph kant behauptet und der kannte sich bekanntermaßen aus.

wie schmeichelhaft! – die frage ist nur: warum kommt der mensch seinen eigenen idealisierungsforderungen denn nicht nach? der mensch kann den moralischen idealen gar nicht folgen, weil er das bio-psycho-soziale bedingungsgeflecht nicht aushebeln kann. das bedeutet: der mensch ist moralisch gut – sei es aus neigung oder aus berechnung –, weil dies glücksgefühle hervorruft und nicht aus achtung vor dem moralischen gesetz. warum gibt sich der mensch nicht damit zufrieden, den ursprung seiner moral in der natur zu verorten? warum ist das ‚spiel moral & pflicht’ so beliebt? es fühlt sich einfach fantastisch an, weil es den prickelnden wohlfühl-kick bereithält, unsere fähigkeit zur moral als eine ‚göttliche anlage’ zu begreifen, die uns – und nur uns! – zu etwas ganz besonderem macht. so jedenfalls hat dies der philosoph kant gesehen!

das ‚spiel moral & der ‚liebe gott’’

die zweite luxusvariante versorgt den menschen mit dem ultimativen wohlfühl-kick. theologen und gläubige spielen dieses spiel mit besonders großem enthusiasmus. das ‚spiel moral & der ‚liebe gott’’ geht von zwei annahmen aus: () zum zeitpunkt der schöpfung war der mensch gut und zwar deshalb, weil er von gott als sein ebenbild geschaffen wurde. leider ist es nicht dabei geblieben, denn dummerweise kam der sündenfall dazwischen und der mensch wurde böse. nun musste die gefallene menschheit von gott auf dem berg sinai moralisch belehrt und später auf dem hügel golgatha von ihren sünden erlöst werden. folglich ist die moral gottgestiftet und sie hebt den menschen über die natur hinaus. () der mensch soll die ‚gebote gottes’ halten. diese gebote – etwa wie sie in der bergpredigt formuliert sind – sind so utopisch, dass kein mensch sie befolgen kann. das macht aber nichts. offensichtlich sind sie gerade nicht zum zwecke der anwendung formuliert. sie sind noch nicht einmal zum zwecke der orientierung formuliert. aber welchen zweck haben sie dann? ein gutes beispiel für eine antwort ist das gebot der christlichen feindesliebe. christen fühlen sich mitunter den moslems moralisch weit überlegen und verweisen dabei besonders gern auf dieses noble moralische gebot. triumphierend fragen sie: „welche religion predigt die feindesliebe?“ beleidigt reagieren sie auf die gegenfrage: „welche religionszugehörigkeit hatten die bewohner derjenigen staaten, die zwei weltkriege anzettelten und die atombomben abwarfen?“

für eine ultimative steigerung des wohlfühl-potenzials lassen sich die bisherigen vier spielregeln im ‚spiel moral & der ‚liebe gott’’ geeignet modifizieren:

- spielregel 1*: bekenne dich zu einer religion mit einer besonders noblen moral, auch wenn du sie in der lebenspraxis überhaupt nicht beachtest!

- spielregel 2*: lass nicht zu, dass jemand eine religion vertritt, die moralisch besser dasteht als deine! lenk die aufmerksamkeit immer auf die unmoral der anderen religionen! verschweige und verberge sorgsam die unmoral deiner eigenen religion!

- spielregel 3*: gib gute gründe an, warum du dich zwar zu einer noblen moral bekennst (benutze dazu die wörtliche lesart der bergpredigt), aber bei dir die dinge leider so liegen, dass du ihr bedauerlicherweise doch nicht folgen kannst (benutze dazu die metaphorische lesart der bergpredigt)!

- spielregel 4*: verweise streng darauf, dass du stets den willen gottes befolgst! sollte jemand behaupten, dass du nur deshalb gut bist, weil du in den himmel kommen willst, dann drohe ihm mit den ewigen höllenstrafen für ungläubige!

gläubige haben mitunter einen erstaunlichen hang zum missionieren und verstehen einfach nicht, dass ungläubige den ‚himmlischen verlockungen’ geradezu gleichgültig gegenüberstehen. die gläubigen fragen gelegentlich: „wollt ihr denn nicht auch in den himmel kommen?“ sie sind gekränkt, wenn der ungläubige antwortet: „liebe vatikanesen und artverwandte! bitte berücksichtigt, dass nicht alle menschen das gleiche belohnungssystem haben. nicht jeder will durch leid näher zu gott kommen und fühlt sich gebauchpinselt, wenn er sich einreden darf, dass er im namen des allerhöchsten unterwegs ist. manche genießen lieber irdischen sex anstatt himmlisches halleluja-singen. akzeptiert einfach, dass dies zwei verschiedene spiele sind und lasst jedem seine persönlichen späßchen.“

5. das ‚spiel moral’ – ein ‚krieg’ mit kollateralschäden

das ‚spiel moral’ – als ultimative luxusvariante in den beiden geschmacksrichtungen ‚spiel moral & pflicht’ und ‚spiel moral & der ‚liebe gott’’ – ist aber ein widerwärtiger ‚krieg’ mit höchst bedenklichen kollateralschäden. der begriff ‚kollateralschäden’ ist ein militärischer fachbegriff, der unbeabsichtigte schäden von beabsichtigten schäden in kriegseinsätzen abgrenzen soll. durch geeignete propaganda werden die kollateralschäden geschickt vertuscht oder als unvermeidbar dargestellt. die zuvor genannten vier spielregeln kommen hier zum einsatz. – konkrete beispiele erwünscht? kein problem! () einerseits vertreten wir in deutschland die universellen menschenrechte und tadeln diejenigen länder scharf, die menschenrechte missachten. als brave bundesbürger stimmen wir reinen herzens zu und fühlen uns dann gleich richtig gut. andererseits produzieren und exportieren wir kriegswaffen im großen stil. wenn es um den profit geht, dann liefern wir auch waffen in krisenländer und an besatzerstaaten. () wir diktieren dumpinglöhne, so dass die betroffenen menschen trotz harter arbeit kaum überleben können. eine frau in bangladesch, die unsere stylischen jeans näht, bekommt für eine zwölfstündige tagesarbeit kaum einen euro als lohn. () wir werfen etwa 30% der produzierten lebensmittel in den müll, obwohl ca. eine milliarde menschen auf der welt miserabel ernährt sind. () wir tun kaum etwas gegen zwangsprostitution, obwohl die betroffenen frauen von jedem freier faktisch vergewaltigt werden. hier geht es um frauenhandel. diese beispiele mögen genügen.

da die zusammenhänge zwischen unserem wohlstand und dem leid anderer menschen zunehmend komplexer werden, eröffnen sich auch immer wirksamere möglichkeiten der verschleierung. wir wollen ja gar nicht wissen, wie alles zusammenhängt. der fischer vor madagaskar fängt immer weniger fische, um seine kinder satt zu bekommen. der grund ist der kommerzielle fischfang der industrieländer. mit gigantischen schiffen und high-tech-ausrüstung wird das meer vor madagaskar zunehmend leer gefischt. die fische landen dann beispielsweise in deutschland und werden zu spottpreisen in den supermärkten verhökert. der konsument kauft und wirft die ware wieder in den müll, wenn er dann doch keine lust auf fisch hat. macht nichts – denkt er – war ja nicht teuer. an den fischer vor madagaskar und seine hungrigen kinder denkt er nicht. macht nichts – denken wir – schließlich vertreten wir die universellen menschenrechte. das ist nur eine weitere traurige geschichte von den kollateralschäden. aber so genau wollten wir es ja gar nicht wissen, oder?

wie ist dies alles möglich, wo wir doch die universellen menschenrechte angeblich so wertschätzen? wie kann es sein, dass unsere regierungen sich und wir als wahlvolk uns für ‚christlich’ halten und nichts gegen diese kollateralschäden unternehmen? es handelt sich um einen besorgniserregenden fall von individueller und kollektiver heuchelei und verlogenheit, der nur dem eigenen wohlstand und wohlbefinden dient und das leid anderer menschen billigend in kauf nimmt. was hier für politik und gesellschaft zutrifft, gilt für jeden einzelnen von uns, denn wir spielen alle mit im famosen ‚spiel moral’. ohne das ‚spiel moral’ wären wir zwar moralisch nicht besser, aber mit dem ‚spiel moral’ können wir uns – trotz unserer moralischen defizite – auch noch verdammt gut fühlen. und nur darauf kommt es uns an!

* … was würde der ‚liebe gott’ dazu sagen?

einige zeit nachdem ich diesen essay verfasst hatte, passierte es erneut … eines nachts erschien mir der ‚liebe gott’ im traum, emotional schwer empört. „aha, du schon wieder!“, tat ich erstaunt. „was hast du denn diesmal auf dem herzen?“ schluchzend flüsterte er: „das allerfieseste spiel hast du in deinem essay gar nicht angesprochen. neulich sah ich in eurem fernsehen eine doku mit dem titel: ‚gottes missbrauchte dienerinnen’. das hast du bestimmt auch gesehen.“ ich erwiderte: „nein, bedaure, keine ahnung, wovon du sprichst.“ voller abscheu sprach er: „stell dir vor, es gibt bei den vatikanesen schwere missbrauchsfälle.“ „du lieber gott, die gibt es doch überall!“ suchte ich ihn zu beschwichtigen. „nein“, schrie er erbost, „bei den vatikanesen ist alles noch schlimmer. ihre fiesen verbrechen vollziehen sie in drei schritten.“

und dann berichtete mir der ‚liebe gott’ die ganze widerwärtige geschichte der fernsehdokumentation. schritt 1: nonnen werden von den würdenträgern einer gehirnwäsche unterzogen. angeblich sei armut, gehorsam und keuschheit besonders gottwohlgefällig. schritt 2: nonnen werden von den hodenträgern zum sex gezwungen, also vergewaltigt. aus gehorsam und gottergebenheit erdulden sie die körperlichen schmerzen und das psychische leid. schritt 3: werden die nonnen missbrauchsbedingt schwanger, dann müssen sie den orden verlassen. entweder müssen sie das kind zur adoption freigeben oder sie werden zuvor sogar zur abtreibung gezwungen. das alles tun die würdenträger mit dem hinweis, dass dies gottes wille sei.

puh!“, sagte ich völlig verdutzt: „das hört sich ja wirklich erschreckend garstig an.“ „es kommt aber noch schlimmer, viel schlimmer“, jammerte der ‚liebe gott’. „stell dir vor: die vatikanesen geben vor, davon nichts geahnt zu haben, wenn sie davon kenntnis erhalten. sie tun nichts, um die missstände abzustellen. die täter bereuen ein wenig, es wird ihnen großmütig vergeben, sie werden an einen anderen ort versetzt und dort fahren sie in ihrem verbrecherischen tun fort. die opfer schämen sich abgrundtief, schweigen zumeist für lange zeit oder gar für immer, überzeugt, dass sie schaden von der heiligen kirche fernhalten müssen. gelegentlich kommt ein wenig ans licht und dann sind die allermeisten gläubigen empört. empört, nicht über die täter, sondern über die opfer, die schande über die alleinseligmachende kirche brachten. das alles soll angeblich in meinem namen geschehen.“

als ich aus dem traum erwachte, hörte ich von der offenen balkontür her ein leises vielstimmiges kichern und glucksen, wie aus 17 kehlen. mich beschlich das eigenartige gefühl, dass es erneut dieses geheimnisvolle wesen war, das sich einen köstlichen schabernack mit mir gönnte. schlaftrunken blinzelte ich in die morgendämmerung. doch ich sah nur noch einen todschicken schwanz in ringelsöckchen-optik – wie ihn sonst nur die extravaganten kattas auf madagaskar tragen – über das balkongeländer huschen. und dann hörte ich einen anklagenden laut wie von einem verwundeten tier: „die religiösen hi-hi-hirngespinste haben giftzähne!“

 

 

 

mai 2419 n. sok.

philosophischer essay 3,
verfasst von einer philosophin
im pelz eines getigerten katers

 

der vergleich von tier & mensch …

der überhebliche blick
des menschen auf die tierwelt

 

1. die frage nach dem ruhmreichen unterschied …

und das unrühmliche ende der menschlichen sonderstellung!

2. eine merkwürdige hierarchie: mann, frau & tier

3. die moral in der tierwelt …

versöhnung & vergebung
… soziales engagement als schlichter & polizist
… sozialisation schwer erziehbarer jugendlicher
… nur faires spiel garantiert spaß
… fürsorge für die mühseligen & beladenen
… altruismus ist sexy
… selbstaufopferung
… trauer

4. der mensch – nur eine unbedeutende fußnote der natur?

* … was würde der ‚liebe gott’ dazu sagen?

 

1. die frage nach dem ruhmreichen unterschied …

der mensch versteht sich selbst als ein denkendes wesen, dem exklusiv vernunft, moral, kultur, religion und sonstige schwer definierbare kostbarkeiten zukommen. lässt sich dieser exklusivanspruch begründen? ist der mensch ein moralfähiges wesen und ist er dies in einer weise, die in der tierwelt nicht zu finden ist? hebt er sich deshalb aus der natur heraus, weil nur er die vorstellung eines moralischen ideals entwickeln kann? ist er etwas besonderes, weil nur er ein gewissen hat und moralische gebote als unbedingt verbindlich akzeptieren kann? traditionell werden diese fragen uneingeschränkt und unbeirrt bejaht. aber ist das überzeugend? würde ein fiktiver außerirdischer – nennen wir ihn mr. spy –, der uns unparteiisch beobachtet, uns als moralfähige wesen inmitten einer amoralischen tierwelt begreifen? würde er uns überhaupt als moralfähig einschätzen, nachdem er das ausmaß unseres zerstörerischen verhaltens gründlich studiert hat?

unser schmeichelhaftes selbstverständnis steht in einem ethischen implikationszusammenhang. es ist eine weit verbreitete überzeugung, dass nur der mensch über einen geist verfügt und dass ihm deshalb eine ethische sonderstellung gegen die natur zugesprochen werden darf und muss. die katholische kirche lehrt noch heute, dass der menschliche geist nicht evolutionär aus der tierwelt entstanden ist, sondern sich einem besonderen schöpfungsakt gottes verdankt. der mensch glaubt folglich, sich selbst einen ausgezeichneten moralischen status verleihen zu dürfen. das wird darin deutlich, dass schweine verspeist werden dürfen, kleine kinder aber nicht. anthropozentrische ethikkonzepte werden traditionell gern akzeptiert; pathozentrische, biozentrische oder gar holistische ethikkonzepte hingegen haben es schwer. die natur hat noch immer keinen intrinsischen moralischen status – insbesondere deshalb nicht, weil ungezügelte fleischgelüste und wirtschaftliche profite dem entgegenstehen. da wir – so glauben wir – der natur überlegen sind, haben wir – so folgern wir – auch das recht, sie gemäß unserer interessen auszubeuten. doch fragen wir uns selbstkritisch: woher kommt diese problematische selbsteinschätzung und wie begründet sich dieser vermeintliche rechtsanspruch? werden die überzeugungen des menschen von sich selbst und seiner beziehung zur natur durch seine religion bestimmt und legitimiert? der anthropologe lynn white prangert das unheilvolle zusammenspiel von wissenschaft, technik und christentum schonungslos an: „ganz besonders in seiner abendländischen form ist das christentum die anthropozentrischste religion, die die welt je kennengelernt hat. der mensch teilt in großem maße gottes transzendenz der natur. in vollständigem gegensatz zum antiken heidentum und zu den asiatischen religionen führte das christentum nicht nur einen dualismus zwischen dem menschen und der natur ein, sondern betonte ferner, dass gottes wille geschehe, wenn der mensch die natur für seine eigenen ziele ausbeutet.“ in psalm 8.6 und 8.7 der hebräischen bibel wird über das besondere verhältnis von gott und mensch nachgedacht: „du hast ihn wenig niedriger gemacht als gott, mit ehre und herrlichkeit hast du ihn gekrönt. du hast ihn zum herrn gemacht über deiner hände werk, alles hast du unter seine füße getan.“ toll! das gibt uns doch den ultimativen wohlfühl-kick! christen denken, dass es der unbezweifelbare wille ihres gottes sei, dass sie in einem herrschaftsverhältnis zur natur stehen. der angemaßte herrschaftsanspruch des menschen über die natur soll so mit verweis auf eine angeblich göttliche legitimation dem rechtfertigungsdruck entgehen. wenn der empirische nachweis einer grundlegenden genetischen oder neuronalen differenz zwischen mensch und tier nicht gelingt, dann verweisen wir gerne auf den willen eines selbstfabrizierten hirngespinstes, das wir ‚gott’ nennen.

die kognitive ethologie deckt immer mehr auf, dass auch in der tierwelt basale moralische fähigkeiten vorliegen, die eine scharfe trennlinie oder gar einen tiefen graben zwischen mensch und tier als fragwürdig erscheinen lassen. diese noch junge disziplin wurde vor ca. 50 jahren von donald griffin begründet und beschäftigt sich mit der frage nach dem bewusstsein der tiere und sie kommt zu erstaunlichen ergebnissen. in der tierwelt haben beispielsweise bärenmakaken eine natürliche moral, die sehr überlebensdienlich ist. hier ist es common sense, dass die fürsorge und erziehung von bärenmakaken-kindern eine gemeinschaftsaufgabe ist. die bärenmakaken-weibchen verpaaren sich nur mit jenen bärenmakaken-männchen, die sich zuvor bereits über einen längeren zeitraum als besonders fürsorglich gegenüber bärenmakaken-kindern erwiesen haben. dieses verhalten wurde durch die sexuelle selektion der weibchen begünstigt. neben der natürlichen selektion ist die sexuelle selektion ein weiteres wichtiges evolutionäres prinzip. die sexuelle selektion des menschen führte dazu, dass frauen jene männer bevorzugten, die entweder besonders muskulös oder besonders clever waren. empathiefähigkeit, fürsorglichkeit und friedfertigkeit gehören nur eingeschränkt zu dem, was als besonders sexy gilt. dieser unterschied zwischen menschen und bärenmakaken sollte uns stutzig machen.

und das unrühmliche ende der menschlichen sonderstellung!

der überhebliche blick des menschen auf die tierwelt hat zwar eine lange tradition, er musste aber schon mehrmals korrigiert werden. der vermeintlich tiefe graben zwischen dem menschen und der tierwelt wird unter dem druck der ergebnisse der kognitiven ethologie zunehmend zugeschüttet. was bleibt ist ein gradueller unterschied. doch die historische entwicklung ist bemerkenswert: () die erste position ist eine substanz-differenzthese (metapher: graben), wie sie von platon und descartes vertreten wird. letzterer nimmt an, dass tiere bloße automaten seien. das tier bestehe folglich nur aus einer einzigen substanz (körper). der mensch hingegen sei aus zwei verschiedenen substanzen (körper & geist) zusammengesetzt. () die zweite position ist eine eigenschafts-differenzthese (metapher: trennlinie), wie sie von der philosophischen anthropologie vertreten wird. kant, scheler und plessner behaupten: der mensch allein könne ‚ich’ sagen. nur er habe ein verständnis von bedeutungszuschreibungen, von zwecksetzungen und von moralischen sein-sollen-differenzen. () die dritte position begnügt sich mit einer bescheidenen kontinuitätsthese (metapher: sich öffnende schere), die besagt, dass der mensch sich nur graduell vom tier unterscheidet. alle kognitiven fähigkeiten und bewusstseinsformen sind bereits in der tierwelt in basaler form angelegt. beim menschen sind sie nur elaborierter. dieser gedanke geht davon aus, dass sich der mensch nicht nur evolutionsbiologisch, sondern auch evolutionspsychologisch aus der tierwelt heraus entwickelt hat.

die dritte position lässt sich spieltheoretisch einsichtig machen. () die kostengünstigste spielvariante ist das neutralismus-spiel: alle begegnen sich mit wechselseitigem desinteresse. tiere und menschen spielen fast immer nach dieser unspektakulären spielstrategie. dieses spiel ist ethisch indifferent. mr. spy würde als forschungsergebnis notieren: „kühe auf der weide verhalten sich wie berufspendler in der u-bahn – sie ignorieren sich einfach.“ () eine riskante, weil kostenintensive spielvariante ist das kampf-kompromiss-spiel. geht es um knappe ressourcen, dann kommen neue spielstrategien hinzu, die dramatisch die verlust- und gewinnchancen erhöhen. wer kämpft, kann viel gewinnen, falls der mitspieler schwach oder freundlich ist. er kann aber auch viel verlieren, falls der mitspieler stark oder bösartig ist. für eine adäquate einschätzung dieser kniffligen situation ist ‚köpfchen’ gefragt. mr. spy würde abschließend notieren: „die moralische schere öffnet sich bereits in der tierwelt zu mehr freundlichkeit einerseits und zu mehr bösartigkeit andererseits. beim menschen öffnet sie sich maximal.“

2. eine merkwürdige hierarchie: mann, frau & tier

die antike rühmt platon als einen denkgewaltigen philosophen und ausgewiesenen experten für moral. in der neuzeit gilt kant als einer der größten denker und als wichtigster vertreter der aufklärung. beide philosophen prägten nachhaltig das abendländische denken. kant behauptet, dass der mensch moralisch berechtigt sei, sich die natur untertan zu machen. in einer spekulativen schrift zum anfang der menschheitsgeschichte deutet kant den biblischen schöpfungsmythos philosophisch und schreibt: „das erstemal, daß er zum schafe sagte: den pelz, den du trägst, hat dir die natur nicht für dich, sondern für mich gegeben, ihm ihn abzog und sich selbst anlegte, ward er eines vorrechtes inne, welches er vermöge seiner natur über alle tiere hatte, die er nun nicht mehr als seine mitgenossen an der schöpfung, sondern als seinem willen überlassene mittel und werkzeuge zu erreichung seiner beliebigen absichten ansah.“ kant konstatiert hier nicht einfach bestehende machtverhältnisse, sondern er bestimmt die gültigen rechtsverhältnisse und nimmt ausdrücklich die tierwelt aus dem katalog unserer ethischen verpflichtungen heraus. wie lautet seine begründung? in seiner anthropologie-schrift behauptet er: „daß der mensch in seiner vorstellung das ich haben kann, erhebt ihn unendlich über alle andere auf erden lebende wesen. dadurch ist er eine person und … ein von sachen, dergleichen die vernunftlosen tiere sind, mit denen man nach belieben schalten und walten kann, durch rang und würde ganz unterschiedenes wesen.“ für kant ist der unterschied zwischen der tierwelt und den menschen grundlegend. menschen verfügen über vernunft und diese vernunft ist unbedingt achtenswert. tiere sind vernunftlos und daher instrumente für die willkür des menschen. dies jedenfalls ist kants rechtsauffassung!

in seiner anthropologie-schrift zeigt sich kant auch ziemlich garstig gegenüber frauen. gelehrsamkeit spricht er ihnen eher ab. „was die gelehrten frauen betrifft: so brauchen sie ihre bücher etwa so wie ihre uhr, nämlich sie zu tragen, damit gesehen werde, daß sie eine haben; ob sie zwar gemeiniglich still steht oder nicht nach der sonne gestellt ist.“ diese diskriminierende einschätzung ließe sich begründen, wenn denkleistungen einem körperorgan zukämen, über das ausschließlich männer verfügen. bekanntermaßen ist dies jedoch nicht der fall. und auch mit blick auf die moralität der frauen ist kants meinung nicht besonders günstig: „wer soll dann den oberen befehl im hause haben? … ich würde … sagen: die frau soll herrschen und der mann regieren; denn die neigung herrscht, und der verstand regiert.“ frauen sind also nicht moralfähig, weil es ihnen an der moralischen gesinnung mangelt. moralität ist eine sache der praktischen vernunft und die vernunft-un-begabten frauen folgen – im unterschied zu den vernunftbegabten männern – nur ihren neigungen. so jedenfalls sieht dies kant – der alte frauenversteher!

kant wiederholt damit aber nur eine bereits von platon vorgetragene hierarchie: den höchsten rang nimmt gott ein, gefolgt von den männern, dann den frauen und ganz unten steht die tierwelt. platon glaubt an die wiedergeburt und gibt sich überzeugt davon, dass unmoralische männer als frauen wiedergeboren werden. ist der hang zur unmoral besonders ausgeprägt, dann ist auch eine wiedergeburt als tier möglich. diese extravagante position trifft zweifelsohne den geschmack philosophierender männer! doch zwischenzeitlich dürfte sich herumgesprochen haben, dass männer hinsichtlich verstand und moral im vergleich zu frauen auch nicht besonders gut dastehen. könnte es eventuell sein, dass eine gewisse fehleinschätzung auch in bezug auf die tierwelt zutrifft?

3. die moral in der tierwelt …

moralkonzeptionen treffen aussagen zu inhalt, form und motivation. was bedeuten die begriffe „moral“, „moralisch“ und „moralfähig“? moral beschreibt ein regel-orientiertes verhalten in einer gesellschaft. wir unterscheiden bei moralischen regeln zwischen der unveränderlichen form „du sollst …“ und dem veränderlichen inhalt „… nicht töten!“ für jede moral ist ein anspruch auf allgemeine verbindlichkeit konstitutiv. moral hat folglich einen verpflichtungscharakter und bei verstößen sind wir moralisch empört. der begriff „moralisch“ meint eine manifeste eigenschaft, die sich in jedem verhalten zeigt, wohingegen der begriff „moralfähig“ lediglich eine disposition meint, also eine eigenschaft, die sich nur unter bestimmten bedingungen manifestiert. diese begriffsunterscheidung soll helfen, den menschen, der erkennbar oft gegen moralische regeln verstößt und demnach nicht moralisch ist, dennoch zumindest als moralfähig auszuweisen. insbesondere soll sich der mensch als ein verpflichtungsfähiges wesen auszeichnen, das die verbindlichkeit moralischer gebote akzeptiert. wir behaupten, dass dies kein tier kann. doch woher wissen wir das? es dürfte schwierig sein, einen überprüfbaren nachweis zu führen, der kritischen nachfragen standhält. aus systematischer perspektive sind prinzipiell drei ebenen denkbar: denken, sprechen und tun.

- mental-ebene: die moralfähigkeit des menschen manifestiert sich in der moralischen gesinnung. ein vergleich zwischen tieren und menschen ist auf dieser ebene nicht möglich. der grund liegt darin, dass wir prinzipiell keinen zugang zum fremdpsychischen haben. dies trifft bereits auf unsere mitmenschen zu, aber insbesondere auf die tierwelt. daraus dürfen wir aber nicht schließen, dass tiere kein moralisches empfinden haben. wir wissen einfach nicht, ob es tiere gibt, die über moral nachdenken und die sich moralisch verpflichtet fühlen. es gibt jedoch bemerkenswerte hinweise darauf, dass tiere über unmoralisches verhalten empört sind. die rede vom nachdenken meint hier eine mentale repräsentation im bildformat, anstatt in einem sprachformat.

sprach-ebene: die moralfähigkeit der menschen zeigt sich in der kommunikation über moralische fragen. der mensch kann die moralische frage „was soll ich tun?“ stellen und beantworten. auf dieser ebene ist ein vergleich zwischen tieren und menschen ebenfalls nicht möglich, weil wir die kommunikation innerhalb einer tierspezies nicht verstehen. hieraus lassen sich folglich keine verlässlichen schlüsse ziehen, weil tiere ihre moralischen empfindungen eventuell non-verbal kommunizieren. sollte dies der fall sein, dann wären wir nicht imstande, die tiere zu verstehen. dieser sachverhalt beschreibt aber letztlich nur die epistemischen defizite des menschen.

- verhaltens-ebene: die moralfähigkeit der menschen wird im konkreten verhalten beobachtbar. nur auf dieser ebene ist überhaupt ein überprüfbarer vergleich zwischen tieren und menschen möglich. für einen fairen vergleich und um krasse fehleinschätzungen zu vermeiden, müssen wir den empirischen befund unvoreingenommen sammeln, sichten und bewerten. gewiss ist hier große vorsicht geboten, denn wir können das beobachtbare verhalten nur aus unserer art-spezifischen perspektive interpretieren und mit unserer begrifflichkeit zum ausdruck bringen. das verhalten in der tierwelt wird somit in einer begriffsstruktur formuliert, die eigentlich für die beschreibung der zwischenmenschlichen beziehungen entwickelt wurde.

lassen wir mr. spy – unseren fiktiven außerirdischen – den empirischen befund erheben. nehmen wir an, er sei neugierig, superintelligent, humorvoll und er habe von den bewohnern seines heimatplaneten den forschungsauftrag erhalten, zur erde zu reisen, um dort das verhalten von tieren und menschen unparteiisch zu studieren. er könnte sich fragen: „gibt es indizien dafür, dass einige säugetiere und vögel eine ungefähre vorstellung davon haben, wie ihr tierliches zusammenleben beschaffen sein sollte? können auch tiere das verhalten von artgenossen bewerten und konkrete maßnahmen treffen, um das gemeinwohl zu verbessern, wie dies menschen tun?“ beschränken wir uns – aus den den zuvor genannten gründen – auf beobachtbares verhalten (verhaltens-ebene) und fragen wir uns, zu welchen forschungsergebnissen mr. spy wohl käme. gehen wir dazu einige konkrete beispiele durch, die mr. spy in der tierwelt beobachten könnte.

versöhnung & vergebung

lässt sich in der tierwelt konfliktmanagement mit versöhnung und vergebung beobachten? mr. spy könnte tatsächlich bemerken, dass sich fast alle affenarten nach streitigkeiten versöhnen. manche arten sind darin allerdings geübter als andere. arten, deren mitglieder in einer engen beziehung zueinander stehen, praktizieren eine intensivere versöhnung als arten, deren einzelne mitglieder einander eher gleichgültig sind. beispielsweise sind rhesusaffen deutlich weniger versöhnungsbereit als bärenmakaken. spontane wutausbrüche unter bonobos führen gelegentlich zu verletzungen eines artgenossen. später scheinen die bonobos ihr rüpelhaftes benehmen zu bereuen und bekunden ihr bedauern durch ein bestimmtes empathisches verhalten. dann erhalten sie großmütige vergebung. groomen, zungenküsse und fröhlicher sex beenden den konflikt.

soziales engagement als schlichter & polizist

kommen in der tierwelt einigen tieren auch polizeiaufgaben zu? mr. spy könnte beobachten, dass in affengesellschaften ranghohe tiere bei gerangel in einer gruppe beruhigend eingreifen, indem sie sich zwischen die kämpfenden tiere stellen, bis diese ihren kampf beenden. es kommt zu einem geradezu anarchistischen verhalten, wenn diese ranghohen tiere zeitweise aus der gruppe entfernt werden. insbesondere könnte mr. spy sogar feststellen, dass auch rangniedere tiere während eines kampfes ranghöherer tiere vermittelnd auftreten. sie begnügen sich offensichtlich nicht mit einer ‚gafferrolle’. unabhängig vom sozialen rang versuchen alle tiere aktiv den friedenserhalt in der gruppe zu befördern.

sozialisation schwer erziehbarer jugendlicher

gibt es in der tierwelt sozialisierungsmaßnahmen? mr. spy könnte sich fragen, was geschieht, wenn ein junger rhesusaffe in eine bärenmakakengruppe integriert wird. bärenmakaken sind versöhnungsbereiter als ein rhesusaffe, sie können diesen aber – im zuge einer sozialisierung – zu mehr versöhnungsbereitschaft erziehen. mithin kommt jeder primatenart zwar eine gewisse disposition zur versöhnung zu, diese scheint in ihrer ausprägung jedoch nicht genetisch fixiert zu sein. in diesem falle wird die disposition des rhesusaffen zur versöhnung voll ausgeschöpft. die gesellschaft der bärenmakaken wirkt auf den rhesusaffen wie eine erfolgreiche sozialisierungsmaßnahme. soziales verhalten ist folglich nicht instinktgebunden, sondern das ergebnis eines lernprozesses.

nur faires spiel garantiert spaß

wie fair verhalten sich tiere, wenn sie spielen? mr. spy könnte bemerken, dass wölfe ihr sozialspiel mit einer ‚spielverbeugung’ beginnen und dass sie sich dann an bestimmte spielregeln halten, die sich deutlich von den regeln des alltags unterscheiden. das spiel stellt somit eine einzigartige verhaltenskategorie dar, die sich grundlegend von anderen formen des kooperativen verhaltens unterscheidet. damit alle beteiligten das spiel tatsächlich fortsetzen wollen, ist gegenseitige fairness gefragt. beispielsweise können zwei ungleich starke tiere miteinander spielen, in dem sie ihre rollen tauschen. der stärkere wird sich – als zeichen der unterwerfung – auf den rücken werfen und die kraft seines bisses hemmen. der schwächere kann spielerisch einmal in die rolle des stärkeren schlüpfen und findet vergnügen daran.

fürsorge für die mühseligen & beladenen

wie fürsorglich verhalten sich tiere? mr. spy könnte sich fragen, ob tiere auch ein gewisses verständnis für kranke, behinderte, deprimierte und traurige artgenossen haben. er könnte feststellen, dass fürsorglichkeit bei elefanten, delfinen und bonobos sehr angesagt ist. delfine versuchen artgenossen zu befreien, wenn diese in fischernetze geraten sind. elefanten nehmen rücksicht auf kranke und behinderte gruppenmitglieder. sie wandern zu futterstellen und passen sich dabei den schwächsten an. bonobos haben erstaunliche empathiefähigkeiten. sie trösten rangniedere tiere, die von ranghöheren tieren schikaniert werden. sie sind mitunter besonders nachsichtig im umgang mit körperlich und geistig behinderten. manche wollen sogar verletzten tieren einer ganz anderen spezies wieder auf die füße helfen.

altruismus ist sexy

gibt es in der tierwelt altruismus? mr. spy könnte sich auch für die vogelwelt interessieren und dann erstaunt feststellen, dass graudrosslinge (arabian babblers) eine ausgeprägte vorliebe für altruistisches verhalten zeigen. dieses verhalten gilt ihnen als besonders sexy und daher wetteifern die vögel in dieser disziplin miteinander und versuchen sich gegenseitig zu überbieten. mr. spy würde verstehen, dass dies allerdings kein echter altruismus ist – dessen möglichkeit er ohnehin bezweifelt –, sondern ein bestimmtes verhalten, das gemäß der sexuellen selektion durch die graudrosslinge-weibchen begünstigt wurde.

selbstaufopferung

gibt es in der tierwelt selbstaufopferung? mr. spy dürfte überrascht sein, wenn er beobachtet, dass es mitunter schimpansen gibt, die ihr eigenes leben opfern, um ein schimpansenkind – mit dem sie gar nicht verwandt sind – aus einer lebensbedrohlichen situation zu retten. mr. spy könnte hier ins grübeln kommen: ist echter altruismus doch möglich?

trauer

haben auch tiere ein gewisses bewusstsein vom leiden und sterben? mr. spy würde diese frage bejahen. elefanten trauern um tote artgenossen und bedecken mitunter die leichen mit zweigen. das verhalten erinnert an ein ‚beerdigungsritual’. auch kehren sie später immer wieder zu den skeletten ihrer verstorbenen gruppenmitglieder zurück. auch affen haben ein differenziertes verständnis vom tod. mr. spy könnte beispielsweise beobachten, dass paviane beim gewaltsamen tod eines artgenossen empört sind. eine wütende paviangruppe demolierte ein auto, dessen unachtsamer fahrer einige tage zuvor einen pavian überfahren und getötet hatte. affen reagieren völlig anders, wenn sie von fressfeinden im zuge der nahrungsbeschaffung vertilgt werden. es scheint so, dass sie verschiedene todesszenarien grob klassifizieren können. der natürliche tod eines betagten artgenossen wird mit trauer zur kenntnis genommen. auf den unnatürlichen tod durch unkonzentrierte autofahrer oder skrupellose jäger wird mit moralischer entrüstung reagiert. zumindest könnte es mr. spy stutzig machen, dass es in der tierwelt phänomene moralischer empörung beim sinnlosen tod eines anderen tieres gibt.

die hier genannten beispiele sind nur einige wenige indizien. der empirische befund müsste aber umfassend, gründlich und kritisch erhoben werden. mr. spy erwägt daher verschiedene deutungs-optionen vorsichtig und notiert: () wenn der empirische befund so gedeutet werden muss, dass auch in der tierwelt eine gewisse moralische gesinnung anzutreffen ist, dann stimmt die kontinuitätsthese und die moralische schere öffnet sich bereits in der tierwelt. () wenn der empirische befund nicht so gedeutet werden kann, dann trifft die differenzthese zu und es gibt eine strikte trennlinie zwischen den menschen und der tierwelt. letztere position ist aber nicht überzeugend, weil dann keine deutung des empirischen befundes möglich ist. das tierliche verhalten darf aber nicht ignoriert werden, nur um dem selbstverliebten menschen zu gefallen.

4. der mensch – nur eine unbedeutende fußnote der natur?

geben wir es zu: im vergleich zur tierwelt sind wir keineswegs so ruhmreich und gottgleich, wie wir es uns erträumt haben. aber dürfen wir nicht trotzdem ein wenig stolz auf uns selbst sein – zumal nur wir ipods, iphones, ipads und sonstige „high-tech-eier“ fabrizieren? menschen haben ein beeindruckendes gehirn, das sie zu enormen kognitiven leistungen befähigt. diese leistungen ermöglichen wissenschaft und technik. allerdings ist es fraglich, ob dieses superorgan langfristig überlebenstauglich ist. sind die kognitiven fähigkeiten des menschen das ergebnis einer sexuellen selektion, das zu einer luxusbildung des gehirns geführt hat? handelt es sich um eine exzessivbildung, deren zerstörerisches potenzial nur noch nicht absehbar ist, weil die bisherige evolutionäre testzeit zu kurz ist? der moderne homo sapiens ist gerade einmal 105 jahre alt. vielleicht ist der mensch dazu verdammt, eine unbedeutende fußnote in der geschichte der natur zu werden.

neben der natürlichen selektion ist die sexuelle selektion ein besonders wichtiges evolutionäres prinzip. die beiden selektionsprinzipien lassen sich durch unterschiedliche merkmale charakterisieren. die natürliche selektion ist sparsam, zweckmäßig und am unmittelbaren nutzen für das überleben orientiert. die sexuelle selektion ist verschwenderisch, kostspielig und ausgesprochen kreativ. sie kann merkmale hervorbringen, die nicht besonders überlebenstauglich sind, aber den weibchen gut gefallen. es kann dann zu exzessivbildungen einzelner körperteile kommen. in der natur sind zahlreiche fälle bekannt. der pfau mit seinem prächtigen gefieder ist ein wunderschönes beispiel dafür.

meine these ist: das menschliche gehirn ist eine exzessivbildung, das langfristig nicht zukunftsfähig ist. da wir noch existieren, lässt sich die richtigkeit meiner these nicht verifizieren, allerdings auch nicht falsifizieren. aber sie ist sehr plausibel und zwar aus mindestens zwei gründen: () bereits jetzt steht der mensch vor der gefahr, sich selbst durch seine eigenen waffen auszurotten – waffen, die atomarer, chemischer oder biologischer art sind. diese waffen – einmal erfunden – verschwinden nicht einfach wieder. () aber auch dann, wenn der mensch diese direkte selbstzerstörung vermeidet, bleibt immer noch das problem der umfassenden naturzerstörung durch das zusammenspiel von religion, wissenschaft und technik. die unbeabsichtigten ‚nebenwirkungen’ der technik sind uns schon längst über den kopf gewachsen, denn die natur ist zu komplex, als dass wir sie verstehen und beherrschen könnten. kurioserweise versuchen wir die, durch die technik erzeugten probleme durch noch mehr technik zu bewältigen. ob dies wohl gut geht?

* … was würde der ‚liebe gott’ dazu sagen?

drei tage, nachdem ich diesen essay verfasst hatte, betete ich spaßeshalber voller inbrunst: „lieber gott, sei so nett! zeig dich mal am fensterbrett!“ unverzüglich erschien mir der ‚liebe gott’ in gestalt eines unüberbietbar holden wesens mit süßen samtpfötchen, niedlichen ohrpuschelchen, einem neckischen schnütchen und einem verführerischen augenaufschlag. blitzartig durchpflügte ein schockierender gedanke mein gehirn: hoffentlich schläft kater sokrates tief und fest in seinem katzenkorb. wenn er dieses bezaubernde wesen sieht, dann verliebt er sich bestimmt und tanzt die ganze nacht sirtaki auf meiner bettdecke. und dann leide ich wieder an schweren schlafstörungen. sofort verwarf ich den garstigen gedanken und fragte das holde wesen: „wer bist du? du bist doch wohl nicht der ‚liebe gott’, oder vielleicht doch? “ belustigt kicherte das holde wesen und zwitscherte: „nein, ich bin nicht der ‚liebe gott’, aber ich bin immer dann zur stelle, wenn ein mensch nach dem ‚lieben gott’ ruft.“

in einem nunmehr sachlichen ton sprach das holde wesen weiter: „ich bin hier, um dich für deine tapfere verteidigungsschrift zugunsten der tierwelt zu loben. voller wohlgefallen studiere ich deine essays. doch das allerwichtigste hast du nicht erwähnt: die geringschätzung der tierwelt ist nur teil einer umfassenden abwertung der natur. wir haben hier den fall einer unzutreffend dargestellten abhängigkeit. anstatt die abhängigkeit von der natur aufrichtig zu konstatieren und demütig zu akzeptieren, wird eine angebliche abhängigkeit von einem frei erfundenen gott benannt. die biblische gottesrede vom herrschen und vermehren birgt ein gefährliches zerstörungspotenzial. als folge kommt es zu einer riskanten überschätzung der kultur und einer fatalen geringschätzung der natur. wisst ihr menschen eigentlich nicht, dass die natur ein ich-bewusstsein besitzt. neulich klagte die natur: ich habe eine juckende stelle an meinem körper, um genau zu sein auf dem planeten erde, also am ‚arsch der welt‘. beinahe acht milliarden macht- und geldgierige erdflöhe sorgen für einen immensen schaden. sie sind einem bösartigen tumor vergleichbar. so weit so übel. doch nun kommt eines dieser widerwärtigen exemplare – ich glaube, er heißt elon musk und ist space-x-chef – auf die schrullige idee (slogan: making humanity multiplanetary), durch verschleppung lebensfähiger tochtertumorzellen den planeten mars zu besiedeln. der beginn der metastasierung ist für 2425 n. sok. vorgesehen. und das soll nur der anfang sein. weitere metastasierungen auf anderen planeten des sonnensystems sind geplant. die begründung lautet: hurra, wir haben den planeten erde zerstört und deshalb ziehen wir nun um. ich finde: das geht zu weit.“

schlaftrunken blinzelte ich in die morgendämmerung. was für ein kurioser traum. doch ich sah nur noch einen todschicken schwanz in ringelsöckchen-optik – wie ihn sonst nur die extravaganten kattas auf madagaskar tragen – über das balkongeländer huschen.